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Anja Tanas: „Ich bin kein Typ für Wettbewerbe!“

Anja Tanas ist Hotelkauffrau, Diplom-Oecotrophologin, Fernsehfrau und Kochbuchautorin, die nebenbei auch einen Blog betreibt. Kurzum eine Foodjournalistin, ausgestattet mit fundiertem Fachwissen und langjähriger Medienerfahrung.

Für den WDR firmiert sie im Rahmen der Sendereihe „Heimathäppchen“ als Köchin und Rezeptentwicklerin, hilft gelegentlich bei der TV-Sendung „Der Vorkoster“ aus und ist zudem eine bekennende Leserin der Bio-Gazette „Schrot & Korn“. Sozusagen nebenberuflich, beziehungsweise privat, schaut sie mitunter sogar Unterhaltungssendungen wie „The Taste“ oder „Kitchen Impossible“, räumt aber ein, dass sie „kein Typ für Wettbewerbe“ ist.

Ein Interview mit Anja Tanas über die Strukturen des Lebensmittelhandels und in der Landwirtschaft, der TV-Köchin Sarah Wiener im EU-Parlament, angereichert mit einer vollumfänglichen Analyse des bestehenden medialen Angebots für Foodies samt Bekennertum zu dem kochenden Popstar namens Yotam Ottolenghi.

Aldi, Edeka, Lidl und Rewe waren unlängst zum Lebensmittelgipfel ins Kanzleramt einbestellt. Zur Debatte samt Ansprache der Bundeskanzlerin standen die Marktmacht (85 Prozent Marktkanteil) sowie die Geschäftspolitik der genannten Unternehmen. Die Vormachtstellung von gerade einmal vier Firmen macht es Verbrauchern nicht gerade einfach, sich dieser Dominanz beim Einkauf von Lebensmittel zu entziehen. Hältst du es dennoch für denkbar, dass Verbraucher nun Wochenmärkte, Metzger oder Bäckereien oder kleinere Fachgeschäfte wieder für sich entdecken?

Ich denke, die Strukturen des täglichen Einkaufs von Lebensmitteln werden sich in den nächsten Jahren nicht maßgeblich ändern. Gerade gewinnen Supermärkte wieder Marktanteile dazu gegenüber den Discountern, aber da sind keine großen Sprünge zu erwarten. Sicherlich gibt es einige Menschen, die alternative kleinere Betriebe für sich wiederentdecken und gute Traditions-Metzger oder -Bäckereien haben oft ihren Platz auch noch behaupten können. Aber der Großteil der Menschen empfindet es ja so, dass immer weniger Zeit bleibt für Einkaufen und Kochen. Daher werden Geschäfte, in denen man eben alles an einem Fleck in großer Auswahl zu einem guten Preis bekommen kann, sicherlich nicht an Marktmacht verlieren. Außerdem wird auch hier die Auswahl an Trend-, Gourmet- und Bio-Produkten immer größer, so gibt keinen wirklichen Grund für die meisten Verbraucher, dann noch in kleine Geschäfte zu gehen.

Ob sich Wochenmärkte wieder mehr durchsetzen können, wird in den Städten selbst entschieden. Wie viel investiert eine Stadt ins Marketing und in ein gutes Management? Die meisten sicher nicht viel. Einige investieren in die Entstehung von Markthallen, aber das sind sicherlich Ausnahmeprojekte. Nochmal: Ich denke nicht, dass sich an den Handelsstrukturen hier bei uns viel ändern wird in der nächsten Zeit. Vielleicht ist das sehr pessimistisch. Ich fände einen anderen Weg schöner. Eine kleinteiligere und persönlichere Einkaufskultur ist sinnstiftend und gut für das gemeinsame Miteinander in einem Ort, einer Stadt. Ich habe den Luxus, zwei Biosupermärkte, einen Supermarkt, einen Discounter und einen sehr kleinen Bioladen zu Fuß erreichen zu können. Tatsächlich kommt es vor, dass ich in dem einen mein Brot und in dem anderen den Salat oder den Käse hole. Aber wer hat schon diesen räumlichen Luxus?

Seit Jahren ist bekannt, dass der Verdrängungswettbewerb in der Lebensmittelerzeugung sowie des -Handels dazu führte, dass die Zahl der Betriebe vom kleinen Bauernhof bis hin zum Bäcker um die Ecke drastisch zurückgegangen ist. Große Konzerne genießen nicht nur Steuervorteile von denen Inhabergeführte Unternehmen träumen können, sondern haben auch ganz andere Spielräume vom Einkauf bis hin zur Preisgestaltung. Kann und sollte hier der Gesetzgeber tätig werden, um das Ungleichgewicht zwischen großen und kleinen Erzeugern sowie Händlern zu korrigieren?

In wie weit der Gesetzgeber das kann und darf, vermag ich nicht zu beurteilen. Meine Meinung dazu ist aber klar: Privilegien müssen für alle gleichermaßen gelten. Das ist mein Traum von einer idealen Welt. Ich beobachte die zunehmende Marktmacht großer Lebensmittelkonzerne auf der gesamten Welt mit Sorge. Spricht man mit Vertretern dieser Firmen, erkennt man schnell: Sie sehen sich selbst als die Retter der Menschheit, nur durch sie sei die Versorgung aller Menschen mit „guten“ Lebensmitteln überhaupt zu gewährleisten. Natürlich haben die Giganten Geld für Zukunftsforschung. Auch die Logistik ist beeindruckend. Die Menschen vertrauen diesen Unternehmen und mögen die Produkte.

Aber meine Haltung ist eher eine andere, ich denke, dass kleinere Betriebe die Zukunft sein müssen und können. Ich bin großer Fan von Unabhängigkeit besonders im Lebensmittelsektor, von überschaubaren Strukturen, kurzen Wegen, gerechter Verteilung. Lebensmittelforschung sollte wieder vermehrt in den Händen der Wissenschaft an Universitäten liegen – ohne die finanzielle Unterstützung und Einflussnahme der Konzerne. Dafür müssten aber die Regierungen aller Länder und auch die Bürger durch ihre Kaufentscheidung die Macht der Konzerne brechen. Ob das passiert? Ich glaube nicht.

Die Köchin Sarah Wiener hat es ins EU-Parlament geschafft. Brauchen wir in der Politik mehr Politiker/innen wie Wiener, die ein anderes, vielleicht moderneres Verständnis für die Erzeugung und Verarbeitung von Lebensmitteln haben, als dies gegenwärtig der Fall ist?

Ich habe mich sehr für Frau Wiener gefreut, als sie ins EU-Parlament einzog. Dass sie jetzt in der Politik Einfluss nehmen kann, das würde mich auch sehr reizen, muss ich zugeben. Es gibt bereits einige Vertreter, die in Bezug auf Lebensmittelerzeugung einen ähnlichen Ansatz wie Frau Wiener verfolgen und damit auch meine Ansichten vertreten. Es wäre wichtig, dass diese Haltung hier generell mehr Berücksichtigung fände. Derzeit sieht es aber nach wie vor eher nach dem Gegenteil aus. Die EU fördert große Strukturen in der Landwirtschaft und hat damit die Problematik in Sachen Tierschutz und Umweltschutz teils nur noch verschärft. Vor vielen Jahren habe ich mit einem Vertreter der EU gesprochen über das Sterben der kleinen Bauernhöfe. Die Ansage war: Wir wollen Großbetriebe und die fördern wir. Da war ich doch einigermaßen geschockt. Ich selbst kenne viele Landwirte, die kleine Höfe betreiben und das mit viel Hingabe. Aber ich muss auch anmerken: Nicht in jedem kleinen landwirtschaftlichen Betrieb wird so gearbeitet, wie ich es gutheiße. Einsatz von verbotenen Pflanzenschutzmitteln, dunkle, stinkende Ställe, angebundene Kühe, Schweine, die nie das Tageslicht gesehen haben – so was findet man auch auf kleinen Höfen. Aber in der Tat wäre es für diesen Bereich, der ja auch so elementar ist für unsere Zukunft, förderlich, wenn mehr Menschen mit einem Verständnis für Tier- und Umweltschutz und nicht nur für monetär optimierte Wirtschaftsprozesse im EU Parlament sitzen würden.

Anja Tanas bei der Arbeit für die WDR-Sendung „Heimathäppchen“ – Bild – Niklas Hüsselmann

Stell dir vor, du solltest ein neues TV-Format für ein neues innovatives Verbrauchermagazin für Lebensmittel entwickeln. Was wäre dein konzeptioneller Ansatz für ein solches Format?

In Sachen Verbrauchermagazin gibt es schon längere Zeit keine wirklichen Innovationen mehr, im Gegenteil, teilweise bewegt es sich wieder etwas in Richtung „Old School“. Genau wie auch im Zeitschriftenmarkt ist alles eine endlose Wiederholungsspirale. Das liegt in der Natur der Sache, denn diese Medien sind in ihrer Darstellungsform stark begrenzt. Für mich wäre ein innovatives Verbrauchermagazin immer auch gekoppelt an soziale Medien, also eingebunden in ein strategisches und intelligentes sowie interaktives online Angebot. Ich halte es für wichtig, die Themen für die Verbraucher wirklich erfahrbar zu machen und nicht nur reine Informationen frontal zu vermitteln. Dafür braucht man spezielle Online-Tools, die ein spannendes Lernen für alle Altersklassen ermöglichen.

Und für das Fernsehen gilt aus meiner Sicht: Man muss sich deutlich abgrenzen von einfach gestalteten Online-Formaten, die mit geringen Kosten produziert worden sind. Hochwertige Bilder kunstvoll komponiert – da haben auch jüngere Menschen Spaß am Zuschauen. Ich denke, dass filmische Qualität hier immer seine Zuschauer finden wird. Außerdem müssen die Inhalte umfassend und auch kritisch dargestellt werden, sehr professionell. Wenn man sich als Journalist auf Bloggerniveau hinab begibt, schafft man sich selber ab. Der Journalist muss sich mit seinen Formaten ein Alleinstellungsmerkmal erarbeiten. Er muss als vertrauliche Instanz gelten. Diesen Status müssen wir uns zurückerobern, auch im Food-Bereich.

Gleiche Frage, anderer Themenansatz; dein Auftrag, eine Food-Reportage nach deinem Geschmack: Lieber eine Reportage mit gastronomischen Schwerpunkt oder doch eher irgendwas mit Lebensmitteln?

Also ehrlich gesagt würde meine Reportage immer beides beinhalten. Am Anfang steht eben die Produktion des Essens, die leckeren Zutaten. Die Erzeuger. Aber am Ende möchte ich natürlich auch genießen. Innovative gastronomische Konzepte faszinieren mich, von daher bin ich da immer auf der Suche. In Sachen Anbau ist vieles natürlich schon mehrfach abgebildet worden, da etwas Neues zu finden, ist nicht immer ganz einfach. Es sei denn, man blickt in die Labore der Universitäten oder der Lebensmittelindustrie – was ich allzu gern, aber mittlerweile viel zu selten, tue. Auch neue Vermarktungssysteme der Erzeuger und ungewöhnliche Formen der landwirtschaftlichen Zusammenarbeit finde ich spannend. Dennoch ist es auch wichtig, den Menschen immer wieder zu zeigen, wie die gängige Landwirtschaft heute aussieht.

Anja Tanas – „Die ungeheure Wirkung der richtigen Prise“ – Eine Kombination von Sach- und Kochbuch, veröffentlicht im April 2019 von der Verlagsgruppe Beltz…

Welche Kochzeitschriften/ -Sendungen, Blogs oder sonstigen Publikationen nutzt du regelmäßig, um dich über Food-Trends zu informieren?

Ich lese relativ selten Koch-Zeitschriften, mehr interessieren mich Fachmagazine, das Heft der Verbraucherzentrale NRW zum Beispiel und die Ernährungsumschau mit aktuellen wissenschaftlichen Themen. Auch das Naturkost¬magazin Schrot & Korn durchstöbere ich allzu gern, und die Newsletter von den wichtigen politischen Institutionen und von tageskarte.io. sind ein Muss. Food-Blogger*innen folge ich nicht. Ich verschaffe mir aber in regelmäßigen Abständen einen groben Überblick über die Szene. Auf Instagram beobachte ich große Food-Plattformen und folge außerdem den bekannten Starköchen, um zu schauen, womit die sich gerade beschäftigen. Auch Genusshandwerker sind für mich interessant.

Was ge- oder missfällt dir an Sendungen wie Kitchen Impossible, Küchenschlacht oder The Taste?

Ich bin kein Typ für Wettbewerbe und würde wohl bei keinem dieser Formate selbst als Protagonist mitmachen. Wenn, dann als Juror, wobei ich mich nicht gut zwischen „super lecker“ und „super lecker“ entscheiden kann! Und das muss man bei diesen Formaten ja oft. The Taste und Kitchen Impossible schaue ich durchaus gerne mal an. Die Kreationen sind wirklich inspirierend. Bei Kitchen Impossible finde ich es faszinierend, hinter die Kulissen der verschiedensten Küchen in aller Welt blicken zu können. Der raue Ton der Sendung ist schon gewöhnungsbedürftig, obwohl ich zugegebenermaßen hier auch mal lachen muss. Es ist interessant, wie man die Charaktere der einzelnen Köche bei diesem Format ziemlich klar erkennen kann.

Hast du unlängst ein Food- oder Kochdoku gesehen, die dir gefallen hat und wenn ja, warum?

Zufällig bin ich online auf einen älteren Film gestoßen, der mir wirklich Spaß gemacht hat. Die BBC Doku „Sugar v Fat“. Sehr gute Protagonisten, mitreißend gefilmt und die Aussage am Ende stimmt sehr mit meinen Erfahrungen überein. Ansonsten, man glaubt es kaum, schaue ich nur in Ausnahmefällen Food-Dokus. Ich interessiere mich mehr für Natur- und Tierfilme. Wer den ganzen Tag mit Geschichten rund um Landwirtschaft, Kochen und Ernährung zu tun hat und auch selbst Filme darüber macht, ist froh, wenn er mal einen anderen Input bekommt. Dafür habe ich kürzlich aber den Spielfilm „Kiss the Cook“ gesehen und war total verzaubert. Unvergessen ist für mich übrigens „Super Size Me“.

Was steht bei dir in diesem Jahr an? Noch ein Kochbuch vielleicht?

Das dritte Kochbuch für die Heimathäppchen steht dieses Jahr an. Außerdem wird auch wieder meine Kochsendung Beste Heimathäppchen beim WDR ausgestrahlt – allerdings alles erst im Oktober. Dann werde ich meine Reportagereihe mit Björn Freitag beim WDR weiterführen. Sie heißt „Björn Freitag kocht grenzenlos köstlich“ und dabei fahre ich mit Björn in die Grenzgebiete NRWs auf der Suche nach kulinarischen Unterschieden. Echt spannend. Außerdem gibt es Heimathäppchen Kochevents, bei denen ich mit den Bewerbern koche und schlemme. Solche Kurse würde ich gern öfters geben, mal schauen, ob ich mal ein eigenes Konzept unabhängig vom WDR erarbeite. Ach – und ein Praktikum bei Yotam Ottolenghi würde ich gern mal machen…

Mehr zu Anja Tanas findet sich auf anjatanas.de/, Rezepte und Warenkundliches gibt es auf anjatanas.de/#blog

Interview: Manfred Tari
Bild:  Uli Tanas

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