Im Herbst 2021 hebt Matthias Maurer ab. Sechs Monate wird der Saarländer als Astronaut für die ESA im Rahmen der Mission „Cosmic Kiss“ auf der ISS verbringen. Mit an Bord jede Menge “Space Food”, vorzugsweise in Dosen.
Einen Freiflug ins All gewinnt man (noch) nicht im Preisausschreiben. Erst recht nicht, wenn es sich dabei um eine Dienstreise handelt. Im Auftrag der ESA (European Space Agency) wird Matthias Maurer gemeinsam mit den beiden NASA-Astronauten Raja Chari und Thomas H. Marshburn im kommenden Dezember einen Ausflug ins Weltall antreten.
Der Werdegang von Maurer liest sich üppig. Sechs Sprachen sprechend, Absolvent von vier Universitäten, darunter die für ihr elitäres Gehabe berühmt berüchtigte „Université de Lorraine“ in Nancy, ausgestattet mit einem Doktortitel in Materialwissenschaften sowie Inhaber verschiedener Patente, qualifizierte sich Maurer über Jahre hinweg für die nun anstehende Mission ins All.
Der selbstgewählte Titel für sein Debüt im All lautet „Cosmic Kiss“, einhergehend mit seinem Slogan einer ‚Declaration of love for space‘. Umfassend wie seine Ausbildung wird zweifelsohne der wissenschaftliche Katalog an Aufgaben sein, die Mauer und seine beiden nicht minder qualifizierten Kollegen an Bord der ISS zu absolvieren haben.
Nicht ganz so anspruchsvoll, aber durchaus ebenfalls sehr komplex ist hingegen die individuelle Vorbereitung darauf, wie und was Matthias Maurer im Weltall serviert bekommen wird.
Interessanterweise und gänzlich jenseits gängiger irdischer Ernährungsphilosophien, spricht sich Maurer dabei für Essen in Dosen aus.
Ein Interview-Kanon mit einer Sprecherin der ESA, Matthias Maurer und Jörg Hofmann von dem Catering-Unternehmen LSG gibt Aufschluss über „Space Food Tastings“, aufwendige Zubereitungen und die Vorzüge russischer Weltraumnahrung.
Was für Speisen werden Matthias Maurer im Rahmen seiner Mission „Cosmic Kiss“ an Bord der ISS aufgetischt werden?
ESA: Matthias Maurer wird an Bord der Internationalen Raumstation ISS sowohl Standardessen (z.B. Lachskroketten, Couscous mit Nüssen und Dosengemüse) als auch von ihm ausgewählte Gerichte zu sich nehmen. Welche Gerichte das im Detail sein werden, hat er noch nicht entschieden. Und natürlich kommt sowohl das Siegermenü aus dem Saarland auf die Speisekarte als auch das Menü von Cliff Hämmerle, der Herrn Maurer gemeinsam mit dem Saarländischen Rundfunk SR ein Menü schenkt.
Anmerkung der Redaktion; Die Zuschauer des Saarländischen Rundfunk haben entschieden, durchgesetzt haben sich „Geheirade mit Speck und Sahnesoße“ und „Rostige Ritter mit Vanillesoße“ zubereitet vom Fernsehkoch Hämmerle und Inhaber des Restaurants Hämmerle’s sowie eine eine Kartoffel-Rieslingcremesuppe und einem Rehragout mit Rahm-Wirsing und Hoorischen, gekocht von Christian Heinsdorf, dem Chefkoch von der Taverne Borg in Perl-Borg.
So genannte „Space Food Tastings“ gehören ebenfalls zu den Vorbereitungen. Was hat es damit auf sich?
ESA: Durch das tägliche zweistündige Sportprogramm, das jeder Astronaut an Bord der ISS absolvieren muss, beträgt der täglicher Bedarf ca. 3000 Kalorien. Rund zwei Drittel dieses Kalorienbedarfs werden für ESA-Astronauten als sogenanntes Basisessen von der NASA für eine gesamte Mission vorausgewählt und vorverpackt. Trotzdem können Astronauten bei dieser Vorauswahl mitentscheiden, was sie gerne als Essen eingepackt haben wollen.
Dafür werden bei der NASA vor einer Mission die “Space Food Tastings” durchgeführt. Das sind Lebensmittelverkostungen für Weltraumessen. Eine solche Verkostung bei der NASA dauert ca. eine Stunde in der dann ungefähr 20 Gerichte in kleinen Portionen probiert werden. Anschließend bewerten die Astronauten in einer Art Fragebogen mit einem Punktesystem, wie gut das Essen geschmeckt hat und welche Gerichte Teil des Basisessens auf der ISS sein sollen.
Die NASA schickt sozusagen eine Grundauswahl an Essen hoch, was von den Astronauten als gut bewertet wurde und von den Ernährungswerten her sinnvoll ist. Das bildet das Basisessen. Neben den ersten zwei Dritteln von diesem Basisessen können Astronauten das letzte Drittel der benötigten Kalorien dann über das sogenannte Bonus-Essen selbst frei aussuchen. Sie können als Bonus-Essen zusätzliche amerikanische Lebensmittel auswählen, die nicht zu dieser standardmäßigen Grundversorgung gehören, oder sich ein beliebiges Lebensmittel wünschen und anfragen, ob es mit zur ISS geschickt werden kann.
Dafür gibt es allerdings nicht immer eine Garantie. Eine weitere Möglichkeit ist, dass die Astronauten aus den Lebensmitteln der europäischen, russischen oder japanischen Weltraumagenturen Bonusrationen aussuchen. Als Herr Maurer in Russland zwei Wochen im Training war, hatte er viermal die Woche Bonusessenauswahl. Dort wurden dann jeweils 20 verschiedene Gerichte und Getränke pro Sitzung verkostet. Das heißt, er hat im Endeffekt in diesen zwei Wochen um die 160 verschiedene russische “Space Food Items” probieren dürfen.
Bereits zuvor äußerte Maurer in einem Interview seine Vorliebe für russische Weltraumkost. Was macht den Unterschied aus?
Matthias Maurer: “Alles, was von russischer Seite in Dosen zur Verfügung gestellt wird, wie zum Beispiel Fleischgerichte, schmeckt wirklich sehr lecker. Weltraumnahrung kommt immer in Dosen oder getrocknet, bzw. dehydriert in Aluminiumbeuteln. Im Allgemeinen schmeckt das Essen aus den Dosen besser als das dehydrierte Essen, da dehydriertes Essen in der Regel weniger Öle und Fette enthält, die aber wichtig als Geschmacksträger sind. Bei den russischen Lebensmittelverkostungen habe ich auf einer Skala von eins bis neun, die meisten Sachen zwischen sieben und neun, also als wirklich sehr gut schmeckendes Essen, bewertet. Alles, was ich in diesem Bereich bewertet habe, werde ich auch versuchen mitzunehmen. Dabei will ich vor allem auch mitnehmen, was nicht schon bereits Bestandteil vom Standardessen der NASA ist, damit ich eine möglichst große Auswahl habe.”
Kulinarisch ein wahrer Kosmopolit, hat Mauer zudem ein Faible für die japanische Küche. Allerdings dürfte es sich dabei wahrscheinlich nicht um Sushi- oder Sashimi-Gerichte handeln, die er im Orbit bekommen wird…
ESA: Er hat sich noch nicht abschließend entschieden. Zur Auswahl stehen unter anderem Makrele mit Teriyaki-Soße, Sardine mit Tomatensoße, gegrilltes Hühnchen mit Soja-Geschmack oder gewürzte getrocknete Seeigel.
Wie und wo werden die Getränke und Speisen für ESA-Astronauten zusammen- und hergestellt?
ESA: Getränke stellt die NASA zur Verfügung, da fliegt die ESA selten was Eigenes. Auch kommt das meiste Essen aus dem NASA-Sortiment. Zusätzlich kann jeder Astronaut vor seiner Mission noch eigene Gerichte in Auftrag geben. Meist werden Köche aus dem eigenen Heimatland damit beauftragt. Matthias Maurer hat den Wunsch, ein Stück Saarland mitzunehmen. Aber die Zubereitung von Weltraumkost ist durchaus speziell und aufwändig. So ist dann die jetzige Idee entstanden: Rezeptentwürfe von regionalen Chefs, wobei die LSG Group mit ihrer Expertise und Erfahrung beratend zur Seite steht und dann die endgültige Fertigstellung, Haltbarmachung und Verpackung übernimmt.
Bedarf es vieler Köche und wie lange braucht es, um die Speisen und Gerichte für die Mission von Matthias Maurer zuzubereiten?
Jörg Hofmann, Head of Global Culinary Excellence bei der LSG Group: “Sobald die Gerichte feststehen, findet bei der LSG Group ein Testkochen statt, bei dem die Rezepte für das Autoklavieren optimiert werden. Dafür braucht es bis zu drei Köche. Anschließend geht es in die Produktion, an der bis zu zehn Köche beteiligt sind. Das eigentliche Autoklavieren, das Bestandteil der Produktion ist, dauert je nach Gericht rund 120 Minuten. Der gesamte Prozess (inklusive Logistik) hat bei unserer ersten Space-Food-Mission circa sechs Monate in Anspruch genommen.”
Wie sieht es insgesamt mit der Verpflegung für einen so langen Aufenthalt auf der ISS aus?
ESA: Grundsätzlich gibt es mehr als genug Essen und Trinken auf der ISS. Wir versuchen, mit dem ESA-Essen vor allem Vielfalt, Abwechslung und vielleicht auch mal was Ausgefallenes, Regional-Typisches auf den „Tisch“ zu zaubern.
Können die Astronauten im Weltraum selbst entscheiden, was und wann sie essen, oder müssen sie sich an strengere Richtlinien und Vorgaben halten?
ESA: Im Grunde genau wie bei uns am Boden auch: Es gibt Arbeitszeit und es gibt Freizeit. Bei der Planung der täglichen Aktivitäten macht man sich große Mühe, allen Crew-Mitgliedern eine gemeinsame Mittagspause zu ermöglichen (was natürlich nicht immer auf die Minute genau gelingt). Wenn’s mal brennt (natürlich nur sprichwörtlich) kann der Astronaut mittags auch anbieten, nur mal eben eine Kleinigkeit zu sich zu nehmen, um dann zügig weiterzuarbeiten. Das sehen aber die Verantwortlichen und die Ärzte am Boden nicht so gerne. Es sollte auf keinen Fall zur Regel werden. Was anderes sind natürlich besondere Tage, zum Beispiel bei Außenbordeinsätzen, oder wenn Weltraumtransporter zu ganz bestimmten Zeiten an- oder abdocken müssen. Da lässt dann keiner pünktlich den „Bleistift fallen“ und meldet sich zur Pause ab.
Manchmal finden humanbiologische Experimente statt: Zum Beispiel zum kalorischen Grundumsatz. Da muss genau bekannt sein, wann wieviel wovon gegessen wurde. Zwecks Vergleichbarkeit kann es auch sein, dass mal für ein paar Tage genau vorgeschrieben wird, was man essen darf. Aber das ist eher eine Ausnahme, in der Regel darf die Crew essen, wann und was sie möchte. Zu Mengen und Inhalt gibt es vom Boden höchstens Empfehlungen. Da dort oben jeder einzelne oft den ganzen Tag akkurat den eigenen Arbeitsplan einhalten muss, wird oftmals ein gemeinsames Essen (am Wochenende auch mal gerne mehrgängig oder verbunden mit einer Kino-Nacht) als Gemeinschafts-Event genutzt.
Interview: Manfred Tari
Titelbild: Matthias Maurer – Copyright ESA – Sabine Grothues