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Ole Plogstedt: „Es reicht nicht aus, nur im Bio- oder Weltladen einzukaufen!“

„Kulinarisch Solidarisch“ ist nur eines der Projekte, mit dem sich der Aktivist, Koch und Inhaber des Catering-Unternehmens Rote Gourmet Fraktion in der Corona-Krise die Zeit vertreibt. Auch fand Plogstedt dankenswerterweise in diesen Tagen sogar Zeit, Fragen im Spannungsbogen von Britney Spears bis Julia Klöckner zu beantworten.

Was macht ein Rock’n’Roll Caterer, wenn alle Pöpstarz zuhause bleiben?
Hatte bis gerade eine enge Beziehung zu meinem Sofa, was ich sehr genossen habe, aber langsam langweilig wird. Deshalb drehe ich jetzt mit einem Kumpel, der mit Kameras umgehen kann, kurze Koch-Videos für YouTube, die wir jeweils einer NGO, einem guten Verein oder coolen Leuten widmen, die unterstützenswert sind. Das Ganze nennen wir „Kulinarisch Solidarisch„. Die Idee kam, als ich, um Spenden für sea-eye.org und 3 weitere Organisationen zu generieren (siehe sea-eye.org/dasguteviertel/), meine Showküche im Lager aufgebaut habe und ein Soli-Koch-Video gedreht hab. Nu stand die Küche schon mal… :-).

Britney Spears fordert via Instagram die Umverteilung von Reichtum und könnte damit Politiker wie Friedrich Merz verunsichern. Gleichwohl ist Britney anders als Friedrich keine Politikerin. Brauchen wir in diesen Tagen mehr Britney als Friedrich in der Politik?
Hab ich gar nicht mitbekommen, aber Recht hat sie. Nur denke ich, Herr Merz wird sich sicherlich nicht von Britney Spears verunsichern lassen, jedenfalls würde er es nicht zugeben – wenn er überhaupt weiß, wer Frau Spears ist. Aber Frau Spears kennt Herrn Merz sicher auch nicht. Und – mit Verlaub – wer, außer den Superreichen, braucht einen Friedrich Merz?

Andrew Eldritch, der Sänger der Band Sister of Mercy, hat mal sinngemäß gesagt: „Du musst Deinen Manager managen.“ Das stimmt. Das stimmt erst recht, wenn man es auf die Zivilgesellschaft bezieht.

Wir alle, nicht nur Promis wie Britney Spears, müssen die Politik managen! Aber es ist wichtig, dass gerade Prominente sich einsetzten, aufmerksam machen und multiplizieren. Leider gibt es sehr viele, die Angst haben damit zu polarisieren und womöglich Facebook-Likes von ihren „Fans“ zu verlieren.

Wir müssen aber gut aufpassen, dass wir uns die Ansichten von VerschwörungstheoretikeridiotInnen und besorgten RechtspopulistInnen mit ihren menschenfeindlichen Fake News nicht als „Meinung“ andrehen lassen. Da haben sich ja gerade einige stark blamiert, ich sag nu(h)r Naidoo, Hildmann, Jebsen, …

Herr Plogstedt im Broiler-T-Shirt – © – Bild: Severin Schweiger

Die Auswirkungen der Corona-Krise verschärfen die sozialen Ungleichheiten in jedweder Hinsicht. Traust du der so genannten politischen Mitte soviel Sensibilität und Weitsicht zu, dieses Problem künftig konsequenter anzugehen?
Das Wort politische „Mitte“ regt mich schon auf! Was ist denn heutzutage die politische Mitte, wenn beispielsweise nach Meinung von Politikern wie Wolfgang Kubicki (FDP) schon das Tragen eines Antifa-Buttons im Bundestag „die Würde des Hauses“ beschädigt? . Was soll ich so einer „Mitte“ zutrauen, die gerade Seebrücken-Demonstrationen verbietet, die unter Einhaltung aller Abstandsregeln mit Maske organisiert sind und die Polizei oft ohne Masken (!) Leute festnimmt und die damit viel mehr gefährdet, als ein solcher Protest es getan hätte.

Aber um auf die Frage zurückzukommen: Es gibt durchaus fähige Leute in der Politik, die besonnen mit dieser speziellen und schwierigen Situation umgehen. Andere wieder spielen sich als Krisen- oder Lockerungshelden auf und missbrauchen diese Pandemie als Vorspiel zum Kanzlerduell.

Politik reflektiert oder orientiert sich an gesellschaftlichen Stimmungslagen, wenn sie sich nicht gerade den Bedürfnissen von Lobbyisten und einflussreichen Interessensverbänden hingibt. Was sagt das über eine Gesellschaft, wenn aktuell Tausende von Erntehelfern aus Osteuropa oder deutschen Touristen eingeflogen werden, während zugleich die Zahl der Aufnahme unbegleiteter Minderjähriger aus einem Flüchtlingslager auf Lesbos lediglich eine zweistellige ist?
Zweistellig wäre ja noch ganz weit oben auf der Skala. Es wäre auch überhaupt kein Problem, auch nicht zu Coronazeiten, allen (!) Geflüchteten zu helfen. Es wurden zu Ostern sogar Hilferufe von Geflüchteten auf dem Mittelmeer, deren Boot schon voll Wasser lief, von der EU ignoriert. Mindestens 12 Menschen sind deswegen ertrunken.

In diesen Corona-Zeiten, wo so viel passiert, was unser Leben extrem verändert und uns beschäftigt, laufen wir Gefahr, andere Themen und andere Schicksale aus den Augen zu verlieren. Vom Leid in den Camps in Moria auf Lesbos, den in Seenot geratenen Menschen auf dem Mittelmeer und anders wo, will man zur Zeit noch weniger wissen als zuvor. In armen Ländern sind durch diese Pandemie Millionen sogar direkt vom Hungertod bedroht, während sich die Mittelschicht bei uns in Europa in ihrer Komfortzone beeinträchtigt fühlt.

Klar, bei mir sind auch alle Jobs bis auf weiteres weggebrochen und ich mache mir auch langfristige Existenzsorgen. Aber deshalb darf sich doch die Solidarität nicht nur auf unsere Region beschränken! #LeaveNoOneBehind!

Oxfam – NGO unterwegs in Sachen Weltverbesserung – Bild: Delinale.de

Die Marktmacht der Supermärkte und großen Lebensmittelkonzerne ist nicht vom Himmel gefallen. Du bist nicht nur aufgrund deines Engagements für Oxfam mit den Auswüchsen dieser ‚Erfolgsgeschichten‘ bestens vertraut. Wie lauten deine Einkaufstipps, worauf sollten Verbraucher achten bzw. verzichten?
Bio- und Fairtrade ist wichtig. Es ist nicht automatisch auch alles Fairtrade, wo nur Bio draufsteht. Gut ist auch, sich zu informieren, welche Siegel das halten, was sie versprechen. Ich hab den Eindruck, dass das Fairtrade-Siegel recht gut ist. Meine Erfahrungen mit Rainforest Alliance, die in ihren Statuten auch die Einhaltung der Menschenrechte neben dem Umweltschutz zu stehen haben, sind allerdings verheerend.

Bei meinen Reisen mit Oxfam nach Ecuador haben wir auf Rainforest Alliance zertifizierten Bananen-Plantagen schlimmste Zustände vorgefunden. Die von Rainforest Alliance beauftragten (outgesourcten) ZertfiziererInnen melden sich vor der Begehung an, so dass sich die PlantagenbetreiberInnen darauf vorbereiten können und alle LandarbeiterInnen ohne Arbeitsvertrag von den ZertifiziererInnen fernhalten können. An diesem Tag bekommen dann alle MitarbeiterInnen Schutzkleidung, die sie, wenn die Kontrolle beendet ist, wieder abgeben müssen.

Ich finde aber, es reicht nicht aus – zum Beispiel um sein Gewissen zu beruhigen – nur im Bio- oder Weltladen einzukaufen. Das können, zumindest auf Dauer oder konsequent, nur diejenigen mit einem privilegierten Einkommen.

Im Prinzip muss mit jedem Einkauf von Bio- oder Fairtrade-Waren ein Aufschrei einher gehen, dass es diese Zertifizierung überhaupt geben muss!

Wir haben uns schon voll damit abgefunden, dass Bio/Fairtrade die Ausnahme ist, obwohl es eigentlich selbstverständlich ist. Es ist für mein Gerechtigkeitsempfinden nicht normal, dass Menschenrechte missachtet werden, auch nicht, dass Lebensmittel mit Giften behandelt werden. Bei verarbeiteten Produkten muss doch auch penibel jeder Zusatzstoff deklariert sein. Nur bei Gemüsen, Fleisch, etc. nicht.

Will damit sagen – möglichst sauber einkaufen ist gut und wichtig, reicht aber nicht. Politische Arbeit ist begleitend dazu mindestens genauso wichtig und es wäre auch ein Akt der Solidarität denjenigen gegenüber, die nicht das Geld übrig haben, um so ethisch/moralisch korrekt und umweltschonend zu konsumieren, wie sie es gerne würden. Ein Lieferkettengesetz, das deutsche Unternehmen für ihr Treiben im Ausland und Menschenrechtsverletzungen bei ihren Lieferanten verantwortlich macht, ist längst überfällig.

Wie bewertest du als Koch die Arbeit und Leistungen von Julia Klöckner, der amtierenden Bundesministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz?
Die Frau geht gar nicht. Sie ist eine Beleidigung für jeden Menschen mit mehr IQ als ein Toastbrot! Sie dreht „Nestle Werbevideos“ und stellt sich mit auf einem auf die schiefe Bahn geratenen bekannten Fernsehkoch für die BILD-Zeitung, gesponsert von Kaufland, vor die Kamera und verarbeiten Billighack. Leider kein Witz – leider nicht übertrieben! Man könnte die Unglaublichkeiten der Weinkönigin noch seitenweise fortführen, aber dass macht schlechte Laune.

Oxfam bedenkt Lidl mit Vorschusslorbeeren anlässlich der Veröffentlichung eines Positionspapiers zur Wahrung der unternehmerischen Sorgfaltspflicht für Menschenrechte und Umweltschutz beim Einkauf. Wie glaubwürdig ist eine solche Absichtserklärung für einen Riesen wie Lidl, dessen Handelspartner Firmen wie Nestle oder Ferrero sind?
Vorschusslorbeeren? Sehe ich überhaupt nicht so. Oxfam freut sich zurecht über den Erfolg, Lidl soweit gebracht zu haben. Klar muss Lidl beweisen, dass sie Wort halten.

Ich sehe es viel mehr als Etappensieg. Es zeigt sich, dass die Arbeit für die Menschenrechte Früchte trägt! Ganz viele Freiwillige haben auf Konzerten von den Toten Hosen, Jan Delay und anderen zu den Kampagenen #MakeFruitFair und #FairnessEintueten in Einzelgesprächen mit vielen Konzertbesuchern unermüdlich ohne Ende Unterschriften gesammelt und die Notwendigkeit des Handelns dargelegt.

Lidl – Schmuckstück der Unternehmensgruppe Schwarz, welche 2018 erstmals einen Jahresumsatz von mehr als 100 Milliarden Euro erzielte – (Quelle: Handelsblatt 13.05.2019) – Bild: Delinale.de

Aktivisten haben bundesweit in Lidl-Filialen Etiketten mit Schockbildern, wie auf Zigarettenpackungen und Statements von erkrankten und ausgebeuteten FeldarbeiterInnen an Bananen aus Ecuador und Weinflaschen aus Südafrika gehängt, wir haben zu Mitmachaktionen aufgerufen, wie Telefonanrufe bei der Lidl-Hotline mit der Frage, wie Lidl mit dem Thema Menschenrechte umgeht, bei der die AnruferInnen mit erschreckender Ahnungslosigkeit der TelefonistInnen konfrontiert wurden.

Und nun bringt Lidl ein Positionspapier zu Ihrem künftigen Umgang mit den Menschenrechten und der Verantwortung zu deren Einhaltung entlang der Lieferkette heraus, was sich ganz offensichtlich an den Forderungen von Oxfam orientiert. Hallo – wenn das kein Erfolg ist! Lidl wird genau wissen, dass Oxfam, die unzähligen AktivistenInnen, die PetitionsunterzeicherInnen und ich, in Funktion als Oxfam-Kampagnenbotschafter, die Einhaltung Lidls neuer Menschenrechtspolitik streng beobachten werden und nötigenfalls wieder agieren: Für uns ist klar – Menschenrechte sind nicht verhandelbar.

Mal sehen, ob Lidl dann noch mit Nestle und Ferrero Handel betreiben kann, wenn sie ihrer Absichtserklärung konsequent nachkommen wollen. Für Veränderungen ist es wichtig, dass einer anfängt – andere ziehen dann nach. Je größer dieser „Eine“ ist, desto mehr Hoffnung besteht, dass andere „Große“ nachziehen (müssen).

Hattest du in der Zeit des Shutdowns gelegentlich auch mal eine Kochsendung angeschaut und wenn ja, gibt es eine, die dir besonders ge- oder missfallen hat?
Ich sehe so gut wie keine Kochsendungen und wäre sicherlich auch nicht mein Zuschauer :-)). Ich mache sie lieber :-).

Konzerttourneen und Festivals stehen bis auf weiteres leider nicht an. Hast du Pläne oder Projekte in der Pipeline, die du in den kommenden Monaten angehst?
Zur Zeit mache ich mit Oliver Rohrbeck ein Hörformat für FYEO (ProSiebem/Sat1). Es heißt „Konjunktiv Kochen und Texte in Blindverkostung“. Oliver und ein Gast lesen unvorbereitet kurze Texte, quasi ‚Prima Vista‘, und ich koche, genauso unvorbereitet, aus Lebensmitteln, die mir der Gast mitbringt. Das ist sehr unterhaltsam und funktioniert als Hör-Lese-Kochformat wirklich gut. Mal sehen, wie es weiter geht…

Titelbild: Ole Plogstedt – © – Christoph Creutzburg
Interview: Manfred Tari

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