Zum Einstieg eine knackige Behauptung, unterlegt mit einigen Zahlen und Fakten, angereichert mit einer Prise Eigenlob. Was sich auf Anhieb liest wie die Kurzfassung eines Einführungskapitels aus dem Handbuch ‚Verschwörungstheorien für Anfänger‘, findet sich in Teilen, dafür aber ausführlicher ebenso in den Studienunterlagen zum Lehrgang „Advanced PR-Strategies for Brands & Politics“.
Wenn alles gut läuft und die wesentlichen Aspekte der Kernbotschaft fachgerecht aufgearbeitet sind, langt es vielleicht sogar für eine Meldung auf Spiegel Online oder anderen einschlägigen Größen des Medienbetriebs. Mutmaßlicher Höhepunkt eines derart wohldurchdachten Kommunikationsansatzes ist eine Live-Schalte zu einer Sendung des Frühstücksfernsehens, während das ultimative Fernziel darin besteht, eine Einladung als Talkgast in einer der Talkshows von Markus Lanz oder Anne Will zu erwirken.
Augen auf bei der Wortwahl
Ein wahrhaft gelungenes Musterbeispiel für solch eine PR-Kampagne ist nun der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie (BVE) mit tatkräftiger Unterstützung der DPA gelungen. Der Verband, der sich normalerweise im steten Wettkampf um Aufmerksamkeit mit einschlägigen Angstgegnern wie Food Watch oder Oxfam befindet, kann endlich mal wieder einen Punktsieg für sich verbuchen. Klug gesetzt zum Einstiegsszenario eine Kombination der Schlagwörter „Kartoffeln“, „Kochen“, „Deutschland“. Die gesetzte These zur PR-Botschaft wird zur Schlagzeile und liest sich, wie RTL es anschließend formuliert, wie folgt: „Ernährungsindustrie: Deutsche können nicht mehr kochen„.
Wer kann da noch widersprechen? Unterlegt mit der markigen Behauptung, dass selbst das Garen von Kartoffeln für Durchschnittsbürger in Zeiten von Corona eine Herausforderung sei, verschafft sie Christoph Minhoff, dem obersten Fürsprecher der hiesigen Ernährungsindustrie, die langersehnte mediale Aufmerksamkeit, die in diesen Tagen vornehmlich Virologen, Epidemiologen und Politologen vorbehalten ist.
Gefangen im Spannungsbogen von Burgern, Pommes-Buden und Toilettenpapier
Minhoff, Funktionär und Lobbyist einer Branche, welche sonst durch Berichte über Lebensmittelskandale und prekäre Arbeitsbedingungen oder durch unliebsame Diskussionen um Lebensmittel-Ampeln medial gebeutelt ist, bemüht die Kartoffel und bringt es auf den Punkt: „Mit oder ohne Schale kochen? Wenn ja, wie viel Salz muss da ins Wasser rein? Wie lange muss ich die dann kochen?“
Ergänzend dazu Zitat-würdige Aussagen wie: „Der Wegfall des Angebots von Schnellrestaurants, Pommes-Buden und Italiener-um-die-Ecke wirft die Leute nun dramatisch zurück auf ihre eigenen Kochkünste“. Sehr schön auch die Frage über Menschen im Supermarkt, die sich denken: „ja gut, wie mache ich denn jetzt ’nen Burger selbst?“.
Dazu noch einige Absatzzahlen über aktuelle Bestseller wie Toilettenpapier, Mehl und Hefe. Formvollendet abgerundet ist die Meldung mit dem Hinweis, dass Minhoff darüber traurig ist, dass die Öffentlichkeit seiner Meinung nach unterschätzt, was „für eine unglaubliche logistische Leistung die Ernährungsindustrie generell und jetzt in der Corona-Krise speziell vollbringt“.
Fazit: Die PR-Saat der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie (BVE) ist aufgegangen, wie die zahlreichen Berichte auf Focus.de, RTL.de, Spiegel.de und Zeit.de dank Mithilfe der DPA belegen.
Zur Ansicht eine Auswahl der schönsten Headlines im Überblick:
Spiegel: Ernährungsindustrie sorgt sich wegen mangelnder Kochkünste der Deutschen
Zeit: Herausforderung Kartoffel: Ernährungsindustrie: Deutsche können nicht mehr kochen
NTV.de: Ernährungsindustrie entlarvt: Deutsche sind Kochmuffel in der Krise
Chip.de: Experten kritisieren: Deutsche können nicht mehr kochen
Indes bei allem gebührenden Respekt, den auch die Ernährungsindustrie in diesen Tagen zweifelsohne verdient, bleibt dennoch fraglich, für welche Politik der BVE steht und welche Interessen dieser Verband im Auftrag seiner Mitglieder, wie der Ferrero Deutschland GmbH, Nestle Deutschland AG oder Tönnies Lebensmittel GmbH & Co. KG, repräsentiert.
Zur weiteren Meinungsbildung seien an dieser Stelle folgende Artikel empfohlen.
Text: Manfred Tari
Titelbild: Das Corona Phantom mit der Maske – Street Art eines unbekannten Sprayers in Dortmund – Bild: Delinale.de