Während Pflegekräften in der Corona-Krise endlich einmal die öffentliche Wertschätzung zuteil wird, die ihnen ebenso wie eine angemessene Vergütung bislang verwehrt blieb, kommt das Thema der Gemeinschaftsverpflegung in Krankenhäusern zu kurz. Eine schillernde Reportage des Autors Rembert Stiewe belegt eindrucksvoll, welchen Beitrag Krankenhauskost dazu leisten kann, dass Patienten möglichst schnell wieder nach Hause wollen…
Beverungen, Hauptstadt des Auenland im Dreiländereck von Nordrhein-Westfalen–Hessen–Niedersachsen sowie Austragungsort des Festivals Orange Blossom Special, dessen Veranstalter Rembert Stiewe unlängst einen Klinikaufenthalt absolvierte. Stiewe ist an und für sich ein Genussmensch. Er ist hochgradig musikaffin und setzt sich als Raucher zudem für den Erhalt der Zigarettenmarke Ernte 23 ein.
Im wahrsten Sinne des Wortes „embedded“ erlebte Stiewe nun einige Tage eine Facette des Gesundheitswesen, die aktuell anlässlich vieler Danksagungen und Szenenapplaus für Pflegekräfte in Kliniken und Pflegeinrichtungen unbeachtet blieb. Es geht um die Gemeinschaftsverpflegung in Krankenhäusern, einem betriebswirtschaftlichen Nebenkriegsschauplatz in einem konsequent durch-ökonomisierten Gesundheitssystem, wie es die Regierungspartein der vergangenen Jahrzehnte herbeigesehnt haben.
Eigentlich hat Stiewe in Bezug auf die ihm in der Klinik zuteil gewordene Nahrungsversorgung noch Glück gehabt. Noch im Februar 2019 berichtete das Handelsblatt darüber, wie der amtierende Gesundheitsminister Jens Spahn den Betätigungsspielraum für externe Beratungsunternehmen im Gesundheitswesen ausweiten wollte.
Anfang August dieses Jahres hat es sich Spahn offenbar anders überlegt. Wie der Tagesspiegel berichtet, trägt er sich nun mit dem Gedanken, wie das Bundesgesundheitsministerium zumindest aus einem Deal mit der Beratungsfirma EY (Ernst & Young) aussteigen könne, nachdem das Unternehmen bei der Beschaffung von Atemschutzmasken ebenso wenig erfolgsversprechend agierte, wie bei der Prüfung der Bilanzen des just pleite gegangenen Fintech-Primus Wirecard.
Da die Beschäftigung von Unternehmensberatern bekanntermaßen ein teures Vergnügen ist, siehe hierzu die Berateraffäre von und mit Ursula von der Leyen und der Unternehmensberatung McKinsey, kann Stiewe froh sein, dass er immerhin noch Aufschnitt zum Brötchen anstatt lediglich nur Wasser und Brot serviert bekam.
Der nachfolgende Erfahrungsbericht samt begleitender Foto-Reportage erschien in chronologischer Reihenfolge zuerst auf dem Facebook-Account des Autors Rembert Stiewe. Es handelt sich dabei um eine eindrucksvolle Beschreibung, welche Wirkung die verabreichte Krankenhauskost auf Patienten haben kann, wenn es darum geht, einen Klinikaufenthalt schnellstmöglich zu beenden. Aus Sicht einschlägiger Unternehmensberater eine wahrlich effektiv kostensenkende Maßnahme oder anders formuliert: Schonkost à la Jens Spahn.
Prolog: Montagabend
Life-goal verpasst. Wollte nie, niemals, never auch nur eine Nacht im Krankenhaus verbringen. Und dann kommen mutmaßlich irgendwelche Bakterien, tanzen im Knie Ringelreihen und Kasatschok, pumpen das Gelenk zur Größe einer Honigmelone auf – und plötzlich wird man zum Notfall.
Vollnarkose ist aber tatsächlich ganz geil.
Komme aus dem Aufwachraum, esse jetzt Zwieback und höre dem sonoren Schnarchen meines (übrigens schwerhörigen) Zimmernachbarn zu. Da die Abteilungen Orthopädie und Chirurgie komplett belegt sind, komme ich in der Geriatrie unter.
Dieses Jahr ist schon was ganz Besonderes…
Aber: Dach überm Kopf. Mir geht es ansonsten gut. Daher bitte kein Mitleid.
Dienstag
Frühstück im Bett.
Ich habe noch nie Essensfotos gepostet. Nichts liegt mir eigentlich ferner, als andere Leute mit meinen Ernährungsgewohnheiten zu langweilen.
Aber dieses Frühstück musste ich einfach bildlich festhalten. Diese durchkomponierte Tristesse, diese wirkmächtigen Schattierungen von grau bis beige – ein Kunstwerk.
Die ersten Beileidsbekundungen und Solidaritätsbekundungen aus der Filterblase treffen ein. „Are you in jail?“ fragt ein Bekannter aus den USA.
Eine grundlegende Reform des Gesundheitssystems wird thematisiert. Zumindest aber wird die Forderung nach Vitaminen laut. Umsturz und Revolution liegen in der Luft.
Da ich von Vitaminen Ausschlag bekomme, kann ich mich entspannt zurücklehnen und mich daran ergötzen, wie die Freundesblase salonbolschewistische Ermächtigungsfantasien drischt. Fühle mich noch leicht benebelt, fast schon berauscht. Im Nachhinein merke ich, dass es gar niemandem um den Umsturz ging. Sie wollten mir lediglich gute Besserung wünschen.
Mittagessen
Man glaubt es nicht, ist aber so: das Mittagessen ist wirklich schmackhaft. Hähnchenbrust mit einer pikanten Kräutersauce gewürzt, dazu tatsächlich leckere Nudeln (al dente!) mit Blattspinat. Okay, Spaghetti kleinzuschneiden könnte als Frevel angesehen werden. Aber vermutlich pfeifen die jungen Wilden in der Großküche einfach auf Konventionen.
Bin baff, hatte das nach dem Gefängnis-Frühstück nicht erwartet.
Ich mache meinen Frieden mit der Gemeinschaftsküchen-Hegemonie. Lob an die Küche.
Abendessen
Nächste Runde: Abendessen. Der potthässliche, nach PU-Schaum aussehende Grießbrei schmeckte überraschend gut, leicht vanillig, die Konsistenz wie ein schlotziges Risotto. Die Wurstauswahl… naja. Das Graubrot erwartbar wabbelig. Joghurt okay. Früchtetee ungenießbar. Mir ist langweilig.
Mittwoch
Frühstück
Ich will nicht ungerecht sein. Wenn man die Augen schließt, geht es. Das Brötchen ist sogar recht lecker gewesen, fluffig, außen nur leicht angekrosst, so wie ich es mag. Der Käse allerdings ist bestenfalls Fensterkitt. Dass ich schwarze Johannisbeeren und das nach ihnen benannte Gelee zutiefst verabscheue, konnte man bei der Zusammenstellung der Frühstückstafel ja nicht wissen – und dass die Brotsorten sich optisch unterscheiden, ist angesichts ihrer identischen Textur und ihres identischen Neutral-Geschmacks fast schon eine künstlerische Leistung.
Aber: Wenn ich mich sonstwo herumtreibe, steige ich stets in Hotels der billigen bis bezahlbaren Kategorie ab. Besser ist das Frühstück dort meistens auch nicht. Das sättigende Basiskriterium „zum Scheißen reicht’s“ wird mit links erfüllt.
Draußen legt sich der Frühnebel. Altersmilde wabert durchs offene Fenster. Warten auf die Visite.
Mittagessen
Ähm, puh. Also DAFÜR hätten weder ein Tier sterben, noch allerlei Leipziger ihr Gemüseleben lassen müssen. Wirklich nicht.
Ich weiß, dass das Personal in Gemeinschaftsküchen wenig Gestaltungsspielräume hat – aber müsste nicht ein kleines bisschen Rest-Berufsethos so etwas verhindern können? Meine Güte, das ist doch immerhin ein Lehrberuf!
Vielleicht sieht man das nicht so im Foto, aber:
Das Fleisch furztrocken, das Tiefkühl-Gemüse mysteriös bröselig, die Kartoffeln aus derselben Materie wie das Graubrot zum Abendessen, die Soße besteht nur aus… Farbe?
Alles ohne den leichtesten Anflug von Aroma. Schmeckt komplett nach nix. Da könnte man stattdessen auch Sägemehl oder Soilent Green an uns verfüttern.
Also wirklich. Ich bin beim Essen genügsam, stelle keine Forderungen, mir ist zu viel Chi-Chi zuwider.
Aber das geht so nicht.
Eine Freundin schreibt: „Man begibt sich in die Hände von Medizinern und wacht auf in den Armen von Betriebswirten“. Kein Widerspruch. Das System krankt. Eins!11!!
Abendessen
Wenn man weiß was kommt, ist man nicht überrascht.
Dies war nun die erste Mahlzeit, deren Zusammensetzung ich mir selbst aussuchen durfte.
Der Pfefferminztee war dem gestrigen Früchtetee haushoch überlegen. Warum ich wieder zwei Stück Butter bekommen habe, obwohl ich ausdrücklich nur eins bestellt hatte, weiß vermutlich nur der EU-Butterberg. Der gemischte Aufschnitt… naja, okay halt, der Käse wie immer mit der Konsistenz von Acryl-Dichtstoffmasse, aber halt: die Scheibe mit Bärlauch war weniger austauschbar und sogar lecker. Es fehlte das bestellte Apfelmus.
Der Höhepunkt meines Tages war dann eindeutig die saure Dillgurke. Famos.
So kann man auch mit kleinen Dingen genervten Patienten Freude bringen. Im Vergleich zu gestern Abend eine Steigerung. Keine große, aber immerhin.
Donnerstag
Frühstück
Auch wenn es nicht so aussieht: wenig zu meckern am Frühstück, ich zahle in die Demutskasse ein. Neu im Angebot: Apfelmus. Erfrischend, von angenehmer Säure.
Die Erdbeermarmelade so, wie sie mir schmeckt. Süß. Sehr süß. Statt des schwammigen Graubrotes für ein zweites Brötchen entschieden. Gute Wahl. Ansonsten war das Frühstück… adjektivlos.
Nun Warten auf die Visite. Prognostizierter Ablauf:
„Guten Morgen Herr Stiewe, wie geht’s Ihnen denn heute?“
Ich: „Danke der Nachfrage. Wie gestern. Und vorgestern. Kann ich raus?“
Doc: „Da müssen wir erst die Laborwerte abwarten. Wir wollen doch nicht, dass Sie dauerhaft Schaden nehmen.“
Ich: „…“
Mittagessen
Just als ich die köstlichen Runzelerbsen aus dem Convenientparadies über die Zunge kullern ließ, als das fahl-graue Kartoffelpüree sich mit gehöriger Adhäsionskraft an meinen Gaumen schmiegte, als das Halloumi-artige Schnittverhalten des Fleischkäses mit der siedesalzigen Würze zu einer nuancenlosen Komposition großküchiger Brillanz verschmolz – just in diesem Moment bekam ich die freudige Nachricht, dass ich noch heute diese heiligen Hallen verlassen dürfe. Kein Bakterienbefund. Redon/Drainage wurden noch während des Essens entfernt. Yes!
Wie köstlich das Mittagsmahl danach mundete! Reine Labsal!
Wohlan, lasset uns tanzen!
Abendessen, Zuhause
So, jetzt aber: lecker!
Zuhause ist es prima.
Epilog: Freitag
Frühstück/Mittagessen
Ich habe heute leider kein Foto für euch.
Jedenfalls nicht vom Frühstück. War in Eile wg. eines Arzttermins, habe vergessen, dass jetzt eine Meute von Foodporn-Junkies nach fotografischen Details lechzt. Bin neu im Blogger-Gewerbe, seht es mir bitte nach.
Es gab fluffiges Butter-Brioche mit Ananas-Marmelade, Toast mit Hummus/Paprika, Toast mit Hausmacher Mettwurst der örtlichen Fleischerei, drei Tassen Kaffee und ein Glas Saft. So oder so ähnlich wie an jedem Werktag. Einfach, aber lecker. Ihr merkt schon, dass ich Weißmehl-Fan bin, nehme ich an – nichts ersetzt den schnellen Kick.
Damit ihr heute nicht ganz ohne bildlichen Eindruck meiner Ernährungsgewohnheiten bleibt, hier ein Foto des Mittagessens. Wie alles von der Upländer Bauernmolkerei ist die Fruchtbuttermilch sehr zu empfehlen. Mal abgesehen vom Erfrischungsfaktor und dem fruchtig-definierten Geschmack, bietet sie Mehrwert durch faire Milchpreise für eine Genossenschaft von Bio-Bauern aus der Region. Sozusagen das Indie-Label unter den Molkereien. Zum Nachtisch traditionelle Rauchwaren aus dem Hause Reemtsma.
Dazu eine Übersetzung des ärztlichen Befundes durch meinen Hausarzt Jens. Die haben im Knie nicht nur mal eben feucht durchgewischt, sondern nach dem Motto „alles raus, was keine Miete zahlt“ mal so richtig kernsaniert, aufgeräumt und entmüllt. Gerissenen Meniskus geflickt, Knorpelschäden beseitigt, durchgespült, überflüssiges Zeugs rausgeschmissen pi, pa, po.
Dabei eine chronische Gelenkhautentzündung festgestellt. Die wird wohl dauerhaft bleiben. Doof, aber besser als Bakterien.
Alles wird gut…
Text und Bilder: Rembert Stiewe