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Zehn Jahre Genussbereit – Ein Interview mit Peter Krauskopf

Zehn Jahre Genussbereit.blogspot.com ist (s)ein Verdienst und ein Jubiläum, welches aller Ehren wert ist. Dabei hat Peter Krauskopf, der Herausgeber des Blogs, weit mehr auf dem medialen Kerbholz, als es vielleicht bekannt ist. Er gehört zu den Gründern, die 1978 das Stadtmagazin Marabo auf den Weg brachten, firmierte als dessen Chefredakteur sowie in gleicher Funktion für den Titel „ Ausgehen im Ruhrgebiet“, einem Vorläufer der Restaurantführer-Reihe „Geht Aus„, welcher bis heute in verschiedenen Ruhrgebietsstädten jährlich aufs Neue errscheint.

Nach eigener Einschätzung ist er ein „leidenschaftlicher Hobbykoch“. Darüber hinaus ist er eine ziemlich versierte Fachkraft für kulinarische Expertisen aller Art. Sein Wissensspektrum reicht dabei weit über die Fachgebiete Carbonara oder Currywürste hinaus. Wer ihm einmal auf einen seiner Kochkurse oder sonstwo begegnete, wird bestätigen können, dass sein Fundus an Fachwissen hinsichtlich irgendwelcher Allerweltsgerichte oder sonstiger Feinkost ohne weiteres als versiert und umfassend bezeichnet werden kann.

Bei Bedarf gerne auch ein wenig kauzig, immerhin hat der Mann kein Mobiltelefon, gleichwohl frei von irgendwelchen Feinschmecker-Allüren. Bemerkenswert ist zudem, wie es Krauskopf gelungen ist, „Genussbereit“ medial sowie in Person leibhaftig zu kombinieren. Angenehm unaufdringlich, dafür aber stilsicher nimmt er sich unermüdlich des kulinarischen Inventars des Ruhrgebiets an. Mitunter zu wohlwollend, aber in der Regel sachlich in der Wortwahl, kommt Krauskopf eher einem gewissenhaften Kulinarik-Reporter anstelle dem Klischee eines gestrengen Restaurantkritikers gleich.

Auch Slow Food Bochum gehört zu seinem Aktionsradius, wobei die Anspruchshaltung dieser Organisation sich spätestens bei seinen gut geschriebenen und zahlreichen Rezepten bemerkbar macht, die dennoch frei von typischen Slow Food-Dogmen sind.

In der Süddeutschen Zeitung beginnt ein Artikel über das Sternelokal Palmgarden mit dem Satz: „In Dortmunder Lokalen ist die Größe des Bildschirms für die Übertragung von BVB-Spielen nicht selten wichtiger als die Speisekarte„. Ferner heißt es: „Die innerstädtische Auswahl an anspruchsvollen Restaurants ist so dünn, dass der Guide Michelin sogar ein Kettenrestaurant als Empfehlung listet.“ Ist es um die gastronomische Versorgungslage im restlichen Ruhrgebiet besser bestellt als in der selbsternannten Westfalen Metropole?

Dabei finde ich Dortmund gar nicht einmal so übel – nicht zuletzt wegen Michael Dyllong vom Palmgarden, der ja auch an der Konzeption von zwei Restaurants im Dortmunder Süden beteiligt ist. Wenn man bedenkt, dass das Ruhrgebiet in den Grenzen des Regionalverbands Ruhr (RVR), zu dem so fremdartige Regionen wie der Niederrhein im Kreis Wesel oder die nördlichen Ausläufer des Siegerlandes im Ennepe-Ruhr-Kreis gehören, 5,1 Millionen Einwohner hat, es hier aber gerade einmal acht Sternerestaurants gibt, ist das schon ein kulinarisches Armutszeugnis.

Nehmen wir zum Beispiel die Aktion „Mein Kochquintett“, bei der jeweils fünf Spitzengastronomen einer Stadt nacheinander besondere Menüs anbieten. In der ursprünglichen Form gibt es das nur noch in Dortmund. In Duisburg, Essen und im Vest (Kreis Recklinghausen) ist sie quasi zusammengebrochen, weil es nicht mehr genug Spitzenhäuser gibt, die aus welchen Gründen auch immer daran teilnehmen können oder wollen.

Essen scheint mir im Moment die Position der kulinarischen Metropole im Ruhrgebiet zu verlieren. Beispiel: Die Gourmetmeile „Essen verwöhnt“ hat zwanzig Jahre lang höchste Qualität auf die Straße gebracht. Aber in den letzten Jahren haben sich viele Spitzenrestaurants zurückgezogen oder ganz geschlossen, allen voran die Zwei-Sterne-Institution Résidence aus Kettwig, deren Patron Berthold Bühler in den Ruhestand ging, und es fällt den Veranstaltern schwer, gleichwertigen Ersatz zu finden.

Schnappschuss aus dem Familienalbum: Peter Krauskopf im Alter von 14 Jahren vor fünfzig Jahren Melone essend auf der Rialtobrücke in Venedig…

Doch ganz so schwarz will ich nun doch nicht malen. Es gibt auch tolle Neueröffnungen in der Region, wie etwa die Dyllong-Projekte VIDA und Iuma in Dortmund, Michael Scheils Chefs &Butchers  in Essen-Werden oder Patrick Hoffs UNVERHOFFT in Gelsenkirchen. Und was man auch nicht vergessen darf: drei der populärsten kulinarischen TV-Entertainer kommen ausgerechnet aus dem Ruhrgebiet: die Sterneköche Frank Rosin, Nelson Müller und Björn Freitag.

Du bist ein versierter Kenner einschlägiger Kulinarik-Veranstaltungen im Ruhrgebiet. Welchen Eindruck hast du von der laufenden Saison?
Seit fast zehn Jahren besuche ich die alljährlich im Ruhrgebiet stattfinden Gourmetmeilen, die in dieser Dichte einzigartig sind. Unter Gourmetmeile verstehe ich den Zusammenschluss von führenden Restaurants einer Stadt, die in Form eines kulinarischen Straßenfestes eine Leistungsschau ihres Könnens präsentieren und mit Probierportionen dem Publikum beim Überwinden der Schwellenangst vor guter Küche behilflich sind. Meine Auflistung im Blog dokumentiert für dieses Jahr 19 Veranstaltungen dieser Art, die im Kulinarik-Bereich immerhin Publikumszahlen aktivieren, die an Popkonzerte oder Fußballspiele erinnern.

Doch langsam scheinen die Veranstaltungen an ihre Grenzen zu stoßen. Es sind immer weniger Gastronomen bereit oder fähig, die personalintensiven Stände zu bespielen. Andere, die dafür eine Formel gefunden haben, treten auf verschiedenen Meilen an, so dass die Veranstaltungen beliebig werden. Es schlägt auch ein Generationswechsel bei den Gastronomen zu Buche. Für jüngere Gastronomen scheinen sie uninteressant zu werden. Zudem haben sie eine große Konkurrenz in anderen Freiluft-Veranstaltungen, wie etwa den Street Food Märkten, Bier- und anderen Getränke-Messen bekommen, die den Gästen ein ähnliches Erlebnis bieten.

Nichts desto weniger erreichen die Gourmetmeilen ein großes Publikum, müssen sich aber auch mit der Trägheit der Masse auseinandersetzen. Angesichts des Klimawandels ist ja die vegetarisch-vegane Ernährung ein großes politisches Thema, das aber nur einen geringen Niederschlag bei den Meilen findet. So gibt es durchaus einige vegetarische, doch meistens nur unter den Vorspeisen. Die sogenannten Gourmetgerichte hingegen versuchen fast ausschließlich mit teurem Fleisch ihrem Anspruch zu genügen – dabei wäre es doch an der Zeit, in dieser Hinsicht einen Wertewandel einzuleiten.

In Skandinavien gibt es auf Ministerebene ein eigenes „Food PolicyLab„. Selbst die EU bedenkt Gastronomie und Kulinaristik mit einem eigenen Förderprogramm. Der Bildaufmacher der Webseite Ruhr-Tourismus in der Rubrik „Genuss“ indes ziert eine Currywurst mit Pommes Frites, was gewiss auch eine Form von Esskultur, zugleich aber auch ein politisches Statement ist. Wie steht es im Ruhrgebiet um den politischen Reformbedarf was „Food Policies“ betrifft?

Currywurst: Im Ruhrgebiet unabdingbar! Variante einer orientalischen Dattel-Currywurst mit gerösteten Honig-Mandeln, serviert auf der Food, Wine & Music in Essen 2019, fotografiert von Peter Krauskopf himself…

Der ist natürlich groß, hat es hier aufgrund der kulturhistorischen Entwicklung auch besonders schwer. Die Bevölkerungsexplosion von quasi 0 auf 5 Millionen in knappen 150 Jahren brachte es mit sich, das die reine Versorgung und nicht die Qualität oder der Genuss im Mittelpunkt von Food Policies steht. Zudem hat die Industrialisierung die traditionelle Lebensmittelproduktion in der Region zerstört. Es ist bezeichnend, dass der größte Beitrag, den das Ruhrgebiet zur Kulinarischen Welt geleistet hat, der Discounter Aldi ist, der in der Lage ist, die Versorgung für Millionen zu bewerkstelligen.

Das ausgerechnet die aus dem Fast-Food-Bereich, schlimmer noch, aus dem Junk-Food-Bereich stammende Currywurst zum kulinarischen Symbol fürs Ruhrgebiet ist, steht nun mal die normative Kraft des Faktischen. Bildung steht erst seit Anfang der 1960er auf der politischen Agenda des Ruhrgebiets, und kulinarische Bildung ist nach wie vor das Hobby von wenigen Interessierten.

Dennoch gibt es auch verschiedene Initiativen und Aktionen, wie etwa den „Markt der guten Lebensmittel“ in Essen, verschiedene Ernährungsräte, neu entstehende Bio-Höfe und Permakultur-Gärtnereien, die versuchen, einen neuen Zugang zur Ernährung zu finden. Dafür muss aber gar nicht nach Barcelona oder Kopenhagen schielen. Das für das klassische Ruhrgebiet so typische Bergmannshäuschen mit eigenem Garten müsste nur als Ikone fürs Urban Gardening ernst genommen werden. Und was mir nicht gefällt, ist dass die Politik, wenn sie Food Policies betreibt, das nur als Vehikel für die Befriedung von sozialen Brennpunkten oder ähnlichem benutzt. Die Sache an sich müsste akzeptiert werden.

In deinem „Manifest für eine kulinarische Bewegung im Ruhrgebiet“ heißt es: „Aufgabe einer kulinarischen Bewegung im Ruhrgebiet ist es, die industrielle Produktion von Lebensmitteln und die Vermarktungsformen und –methoden zu problematisieren. Qualitative Gesichtspunkte müssen mehr Gewicht bekommen.“
Gleichwohl hat die Agrar- und Wirtschaftspolitik der vergangenen Jahrzehnte mit dazu beigetragen, dass große Supermarktketten aufgrund von Konzernstrukturen gegenüber kleinen Einzelhändlern im Lebensmittelhandel einen Wettbewerbsvorteil haben oder landwirtschaftliche Großbetriebe immer noch mehr Subventionen bekommen als Kleinbetriebe. Hältst du es für möglich, dass es hier in absehbarer Zeit im Sinne deines Manifests zu einem Umdenken kommt?

Schön wär’s. Ich bemühe mich so häufig wie möglich durch in kleinen Betrieben erzeugt, qualitativ hochwertigen Lebensmitteln zu versorgen, sehe aber auch, dass das häufig nur jenseits einer ökonomischen Darstellbarkeit möglich ist, sei es von Seiten der Erzeuger, als auch von mir als Kunden. Ich will mir nicht vorstellen, wie es wäre, wenn ich nicht die Möglichkeit hätte, einfach in den Supermarkt gegenüber zu gehen, wenn ich Hunger habe.

Genussbereit feiert aktuell das zehnjährige Jubiläum, kommt mit ausführlichen Reportagen oder medial sorgsam aufbereiteten Rezeptvorschlägen daher. Gleichzeitig hat sich die mediale Landschaft radikal verändert und somit auch die Berichterstattung über das Essen und Trinken. Gibt es in diesem Zusammenhang Entwicklungen, die du gutheißt oder die dir missfallen?

In der Tat, sein Essen zu fotografieren und ins Internet zu stellen, ist geradezu inflationär geworden. Mit meinem Blog leiste ich dazu sicherlich einen bescheidenen Anteil. Aber um ehrlich zu sein: das allermeiste davon gucke ich mir nicht an. Das gleiche gilt für die Restaurantkritik außerhalb des Ruhrgebiets. Die interessiert mich erst, wenn klar ist, dass ich da auch mal hinfahre.

Der geharnischte Verriss kommt auf Genussbereit nicht vor. Wenn überhaupt, findet sich Kritik auf deinem Blog dezent zwischen den Zeilen versteckt und dies, obwohl du selbst ein journalistisch-kulinarisches Kompetenzzentrum bist. Dennoch, ein Rant à la Rezo oder eine Medienkritik à la Jürgen Dollase hätte doch was. Gab oder gibt es Themen oder Anlässe, die dich so geärgert haben, dass du geneigt warst die redaktionelle Leitlinie von Genussbereit ausnahmsweise außer Kraft zu
setzen?

Ich schreibe zwar im Internet, möchte aber an der allgemeinen Aufregung und Empörungswut, die hier stattfindet, nicht teilhaben und sie nicht fördern.

Wie lauten deine Leseempfehlungen von Artikeln oder Rezepten auf Genussbereit, die dir selbst gut gefallen und die man unbedingt gelesen haben sollte?

Das Foto zum Rezept der Linsensuppe aus der Genussbereit-Serie „Gestern bei Mama“, veröffentlicht am 30. August 2009…

Oh, das ist schwierig. Bei manchen Posts gefallen mir die Bilder, bei manchen die Texte, oder es gibt wichtige allgemeine Äußerungen zu Rezepten, wobei das Rezept selbst gar nicht so wichtig ist.
Programmatisch ist sicherlich das Manifest für eine kulinarische Bewegung im Ruhrgebiet wichtig, das ich zur Kulturhauptstadt 2010 mit den Freunden von Slow Food Mittleres Ruhrgebiet (heute Slow Food Bochum) verfasst habe. Es müsste aber dringend aktualisiert werden.

Rezepte aus dem Format „Gestern bei Mama“:
Linsensuppe & Falscher Hase

Rezepte aus dem „Format auf dem Balkon“ und „Sonntagsessen“::
Gebratene Sardinen mit Lorbeerkartoffeln Lammkarre mit Dicke-Bohnen-Kruste

Berichte über Gourmetmeilen:
Schönebeck is(s)t lecker 2013

Interview: Manfred Tari
Titelbild: Peter Krauskopf – © – Katrin Manzke
Allen weiteren Bilder mit freundlicher Genehmigung von Peter Krauskopf.

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