Das Branchenblatt Biohandel zeigt sich entsetzt und schreibt in seiner Dezember-Ausgabe „Schock für den Fachhandel: Das Ende der Profilierung von Bioläden über Verbandsmarken ist damit endgültig eingeläutet„. Anlass für diese Einschätzung ist die zuvor im Oktober bekanntgegebene Kooperation des Erzeugerverbandes Bioland mit dem Discounter Lidl.
Brigitte Frommeyer indes ist Pressereferentin bei dem Fair Trade-Handelsunternehmen GEPA, welches auch Lebensmittel in seinem Sortiment führt und somit mit den Gegebenheiten im Lebensmitteleinzelhandel vertraut ist.
Delinale: Bioland führt im Rahmen seiner Unternehmensphilosophie an, gewisse Prinzipien zu beachten. Darunter findet sich auch der Leitsatz „Faire Partnerschaften mit Herstellern, Handel und Kunden pflegen“ samt Verweis auf: „Allen Beteiligten ein existenzsicherndes Auskommen ermöglichen„. Gleichwohl beschäftigen die markführenden Supermarktketten in großer Zahl sogenannte „Mini-Jobber“. Stellt dieser Umstand aus ihrer Sicht einen Widerspruch dar?
Brigitte Frommeyer: Wir können zu konkreten Arbeitsbedingungen von Lidl nichts aus erster Hand sagen, müssten uns hier auch nur auf Medienberichte berufen.
Sagen wir mal allgemein: Damit vom Wachstum alle gleichermaßen profitieren, sollten auch hiesige Händler stärkere Auflagen erfüllen, um ihr Unternehmen insgesamt fairer zu machen. Nicht nur die Medien und Verbraucherorganisationen werden zunehmend kritischer, auch Verbraucherinnen und Verbraucher können mehr und mehr Einzelmaßnahmen von einer stimmigen, fairen Gesamtstrategie eines Unternehmens unterscheiden.
Ein ganzheitliches Verständnis vom Fairen Handel ist daher wünschenswert. Das schließt faire Arbeitsbedingungen auch hier vor Ort ein. Die GEPA hat sich deshalb nach dem Garantie-System der World Fair Trade Organization (WFTO) überprüfen lassen. Dabei werden die Arbeitsweise der gesamten Organisation betrachtet und konkrete Verbesserungs- und Entwicklungsschritte festgelegt.
Nur mal hypothetisch angenommen, ein Discounter würde sich ebenfalls durch ein WFTO-Monitoring überprüfen lassen, müssten die gesamte Unternehmenstätigkeit den Kriterien der WFTO entsprechen. So müsste sich der Konzern u.a. auf faire (z.B. tarifgebundene) Gehälter, Vorhandensein von Betriebsräten und Weiterqualifizierungsmöglichkeiten für Arbeitnehmer/-innen überprüfen lassen.
Delinale: Unmittelbar vor Bekanntgabe der Zusammenarbeit von Lidl mit Bioland vermeldete das Unternehmen, künftig nur noch Fairtrade-Bananen zu verkaufen, während nahezu zeitgleich die Marke Lemonaid Lidl mit Plagiatsvorwürfen konfrontierte. Lemonaid beschuldigte Lidl zum Verwechseln ähnliche Limonaden anzubieten, die zudem auch noch alles andere als nachhaltig und fair produziert worden sind. Wie glaubhaft ist daher ein Unternehmen wie Lidl in Bezug auf einen strategischen Sinneshandel, welches immer wieder auch durch eher fragwürdiges Geschäftsgebaren auffällt?
Frommeyer: Dazu ist uns nichts aus erster Hand bekannt. Insofern können wir nicht beurteilen, wie stichhaltig diese Vorwürfe sind.
Delinale: Welche Folgen wird die Kooperation von Lidl mit Bioland für den Bio-Fachhandel mit sich bringen?
Frommeyer: Das ist noch nicht absehbar. Fakt ist: Im deutschen Lebensmittelhandel herrscht ein extremer Preisdruck. 2017 ist der Biofachhandel schwächer gewachsen als der Biomarkt insgesamt. Die Zahl kleiner Bioläden nimmt sogar weiter ab. Die GEPA unterstützt deshalb den wertegebunden Fachhandel (neben Bio- und Naturkosthandel auch Weltläden) durch ein eigenes Sortiment (Schokoladen, Kaffee, bald auch Tee).
Delinale: Bio-Läden haben im übertragenen Sinn einst das Erbe der „Tante Emma„-Läden übernommen. Wie ehedem prophezeien Marktforscher nun auch diesem Teil des Einzelhandels einen Konsolidierungsprozess**, den dem Vernehmen nach nur wenige Anbieter überleben werden. Geht es Lidl vielleicht nicht eher nur darum, den Verdrängungswettbewerb zu verschärfen, in dem es Kooperationen mit Bioland und Fairtrade eingeht?
Frommeyer: Wir können hier keine Gedanken lesen. Laut der gerade erschienenen Studie „Biohandel Deutschland 2018“ achtet die Kernzielgruppe des Biofachhandels schon eher auf ein ganzheitliches Konzept als die preisorientierteren LEH-Kunden. Das bedeutet nicht, dass die Kernzielgruppe des Fachhandels Preise völlig gleichgültig sind. Ausschlaggebend ist hier aber die Qualität.
Delinale: Der Aspekt „Fairness“ spielt in der Lebensmittelbranche angesichts der tatsächlichen Marktanteile bislang eine untergeordnete Rolle. Wie auch, wenn im Hinblick auf die steigende Altersarmut oder die Zunahme von prekären Arbeitsverhältnisse ein nicht geringer Teil der Gesellschaft sich derartige Produkte gar nicht leisten können.
Im Gegenzug hat es Dieter Schwarz, der Eigentümer der Firmengruppe Kaufland/Lidl, auf Platz 46 der Forbes-Liste der reichsten Menschen der Welt gebracht. Das Wirtschaftsmagazin Bilanz schätzte sein Privatvermögen gerade erst im August 2018 auf 39,5 Milliarden Euro.
Diese Diskrepanz ist eklatant und beruht gewiss nicht nur in dem guten Geschäftssinn dieses Unternehmers, sondern auch, dass die Politik der vergangenen Jahrzehnte es solchen Unternehmern leicht gemacht hat. Die dadurch bedingten gesellschaftlichen Veränderungen führen aktuell auch zu politischen Umbrüchen. Steht zu erwarten, dass die Politik künftig auch dem Thema „Fairness“ mehr Aufmerksamkeit widmen wird?
Frommeyer: Dafür kämpfen jedenfalls klassische Fair-Handelsakteure wie die GEPA. Als Mitglied des Forums Fairer Handel möchten wir daher den politischen Druck verstärken, um beispielsweise Unternehmen zur Einhaltung von Menschenrechten entlang der internationalen Lieferkette zu verpflichten. Bislang hat die jetzige Bundesregierung bei der Umsetzung der UN-Leitlinien für Wirtschaft und Menschenrechte eher auf Freiwilligkeit gesetzt. Da ist unser Nachbarland Frankreich mit seinem Gesetz zur menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht schon deutlich weiter.
Delinale: In der Schweiz entschieden sich die Bürger unlängst gegen ein Gesetz, dass die Förderung von fair-produzierten Lebensmitteln vorsah. Man muss kein Meinungsforscher sein, dass auch hierzulande politische Mehrheiten für einen solches Gesetz gegenwärtig eher unwahrscheinlich sind. Müssen wir uns daher künftig mit eher Marketing-getriebenen Ansätzen wie denen von Lidl begnügen oder besteht sogar Hoffnung, dass zunehmend auch Verbraucher bewusster ihre Einkäufe tätigen und dass vielleicht auch die Politik der Marktdominanz der Handelsriesen kritischer begegnet, als dies gegenwärtig der Fall ist?
Frommeyer: Marketing kann nur ein Instrument neben anderen sein. Die vom Forum Fairer Handel herausgegebene „Trend- und Wirkungsstudie – Verändert der Faire Handel die Gesellschaft?“ kommt zu dem Schluss, dass darüber hinaus die politische, Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit deutlich verstärkt werden muss. Das gilt auch für die direkt Zusammenarbeit mit politischen Institutionen. Das Fair Trade Advocacy Office als politische Interessensvertretung arbeitet auf europäischer Ebene mit EU-Institutionen zusammen. Als Mitglied des Forums Fairer Handel hat die GEPA auch die Kampagne von Forum Fairer Handel und Weltladen-Dachverband zur Bundestagswahl im letzten Jahr unterstützt. Dabei ging es u.a. um Schutz von Arbeits- und Menschenrechten weltweit, Förderung von kleinbäuerlicher Landwirtschaft, menschenwürdigen Umgang mit allen.
Allgemein hat sich das öffentliche Interesse an verantwortlichen Lieferketten und Sozialstandards erhöht.
Titelfoto: Brigitte Frommeyer, Pressesprecherin von GEPA -The Fair Trade Company – © – Foto Copyright – GEPA – Caroline Scheer
Text: Manfred Tari